I. Eschebach u.a. (Hrsg.): Verbotener Umgang mit „Fremdvölkischen“

Cover
Titel
Verbotener Umgang mit „Fremdvölkischen“. Kriminalisierung und Verfolgungspraxis im Nationalsozialismus


Herausgeber
Eschebach, Insa; Glauning, Christine; Schneider, Silke
Reihe
Edition NS-Zwangsarbeit. Schriftenreihe des Dokumentationszentrums NS-Zwangsarbeit (1)
Erschienen
Berlin 2023: Metropol Verlag
Anzahl Seiten
316 S.
Preis
€ 22,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Kolja Buchmeier, Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten

Etwa 13 Millionen Kriegsgefangene und zivile Zwangsarbeiter:innen wurden während des Zweiten Weltkrieges im Deutschen Reich zur Arbeit eingesetzt. Tätig waren sie in großen Rüstungsbetrieben, für staatliche Institutionen und Kommunen, aber auch in privaten Haushalten und der Landwirtschaft. Korrespondierend mit dem Kriegsverlauf kamen zunächst massenhaft polnische und französische Staatsbürger:innen zum Arbeitseinsatz nach Deutschland, später auch serbische und britische Kriegsgefangene, Männer, Frauen und Kinder aus der Sowjetunion, unter ihnen mehr als 1,4 Millionen sowjetische Kriegsgefangene und 1943 schließlich Hunderttausende italienische Militärinternierte. Die historische Forschung ist sich schon lange einig darüber, dass ein Kontakt zwischen diesen „Fremdarbeitern“ und den lokalen deutschen Bevölkerungen – entgegen den Absichten des NS-Regimes – nicht zu verhindern war, sondern vielmehr zum Alltag in der Kriegsgesellschaft gehörte.1 Die Formen von Interaktion waren dabei vielfältig und reichten von gewöhnlichen Gesprächen über Hilfeleistungen bis zu Liebesbeziehungen, beinhalteten aber auch gewalttätige Auseinandersetzungen und sexuellen Missbrauch. Diese Kontakte stellten für den nationalsozialistischen Staat sowohl ein sicherheits- als auch ein rassepolitisches Problem dar. Sie wurden deshalb unter dem Tatbestand des „verbotenen Umgangs“ unter Strafe gestellt und sanktioniert.

Der vorliegende Band präsentiert vielfältige neue Forschungsergebnisse zum Delikt des „verbotenen Umgangs“. Die Herausgeberinnen sind ausgewiesene Expertinnen auf dem Gebiet. Silke Schneider legte 2010 ihre Pionierstudie zum Thema vor, die bis heute als ein Standardwerk zitiert wird.2 Insa Eschebach hat sich als ehemalige Leiterin der Mahn- und Gedenkstätte Ravensbrück vergleichsweise früh mit wegen des angeblichen Kontaktes zu Zwangsarbeitern ins KZ-System überstellten Frauen auseinandergesetzt.3 Christine Glauning schließlich beschäftigt sich als Leiterin des Dokumentationszentrums NS-Zwangsarbeit in Berlin-Schöneweide seit 2006 intensiv mit dem Phänomen NS-Zwangsarbeit und dessen gesellschaftsgeschichtlichen Implikationen. Dementsprechend hoch ist die Qualität der im Band präsentierten Beiträge, die auf der Grundlage zweier Tagungen geschrieben wurden, die 2016 in der Gedenkstätte Ravensbrück und 2019 in der Gedenkstätte SS-Sonderlager/KZ Hinzert stattfanden. Die Auswahl und Reihenfolge der in vier Kapitel gegliederten Aufsätze wirkt allerdings keineswegs, wie bei Tagungsbänden leider nicht unüblich, eher zusammengewürfelt und willkürlich, sondern im Gegenteil wohltuend strukturiert und durchdacht.

Der erste Teil widmet sich der historischen Kontextualisierung des „verbotenen Umgangs“. Hervorzuheben ist hier vor allem die Erkenntnis, dass die Verfolgung entsprechend benannter Kontakte in der Kriegszeit keineswegs aus dem Nichts begann, sondern vielmehr auf etablierte Formen der Normierung und Sanktionierung von Beziehungen zwischen Deutschen und vermeintlich „Fremdvölkischen“ zurückgreifen konnte. Der von Schneider unter dem Begriff der Segregation zusammengefasste und von Christoph Lorke und Alexander Schmidt für den rechtlichen Bereich untersuchte Mechanismus von Ein- und Ausschluss aus einer den Deutschen vorbehaltenen Gemeinschaft offenbart den rassistischen Charakter des Gesamtphänomens. Wer mit wem Kontakt haben durfte und wer nicht, wurde auf Grundlage rassenideologischer Kriterien entschieden. Wie Sebastian Schönemann anhand der Analyse einer Fotoserie eindrücklich darstellt, diente diese Praxis dabei nicht nur der Ausgrenzung, sondern auch der symbolischen und praktischen Formierung einer imaginierten Volksgemeinschaft. Hervorzuheben ist außerdem der geschlechtergeschichtliche Aspekt des Phänomens, denn der Kontakt von deutschen Frauen mit ausländischen Männern wurde besonders stigmatisiert und verfolgt. Die Frauen wurden öffentlich angeprangert und drakonisch bestraft, deutsche Männer dagegen kaum. Schneider analysiert diesen Umstand treffend als Ausdruck einer patriarchalen Geschlechterordnung, in der Behörden das Verhalten deutscher Frauen ständig moralisierten und sexualisierten.

Im zweiten und dritten Abschnitt des Bandes werden verschiedene Verfolgtengruppen sowie Haftorte anhand von Fallstudien in den Blick genommen. Es handelt sich hierbei vorwiegend um lokalhistorische bzw. mikrohistorische Studien. In ihrer Gesamtheit betrachtet ergeben sie ein tiefgreifendes und breitgefächertes Bild der Verfolgungspraxis, ohne den Blick auf die betreffenden Individuen aufzugeben. Kritisch anzumerken ist hier, dass viele Beiträge einleitend noch einmal grundlegende Informationen zum Tatbestand des „verbotenen Umgangs“ rekapitulieren, was angesichts der ausführlichen Einleitung der Herausgeberinnen mit entsprechenden Informationen beizeiten redundant wirkt. Besonders erfreulich hingegen ist, dass neben dem bereits einschlägig erforschten System der Konzentrationslager auch weniger bekannte Haftstätten in den Blick genommen werden. Lena Haase und Beate Welter widmen sich dem SS-Sonderlager Hinzert bei Trier, in dem eine mögliche „Eindeutschung“ von des Kontaktes mit deutschen Frauen bezichtigten polnischen Zwangsarbeitern geprüft wurde. So konnten einige Männer der vorgesehenen Ermordung zunächst entgehen, eine negative Prüfung endete allerdings wiederum mit der Überstellung in ein reguläres Konzentrationslager. Anne Kathrin Düben untersucht das „Arbeitserziehungslager“ Breitenau südlich von Kassel, wo neben Zwangsarbeiter:innen auch deutsche Gestapo-Gefangene inhaftiert waren, darunter Hunderte Frauen, die man des „verbotenen Umgangs“ bezichtigte. Die hier untersuchten Fallbeispiele verdeutlichen die Bedeutung von Denunziationen, die sich für den gesamten Verfolgungskomplex nachweisen lässt: Nicht selten kamen Anzeigen erst durch Initiative des engen sozialen Umfelds der Betroffenen zustande.

Wie beim Komplex der NS-Zwangsarbeit insgesamt, so ist bei der Erforschung des Phänomens des „verbotenen Umgangs“ ganz besonders die disparate Quellengrundlage zu betonen. Sie ist so vielfältig wie lokal unterschiedlich und hat auch auf die Auswahl der im Band untersuchten Örtlichkeiten und Gefangenengruppen erheblichen Einfluss. Im Fall der Gestapostelle Osnabrück beispielsweise steht eine nahezu lückenlose Überlieferung der Personenkartei zur Verfügung, auf Grundlage derer Sebastian Bondzio und Michael Gander eine systematische und empirisch gesättigte Analyse der hier verfolgten Fälle von verbotenen Kontakten vorlegen können. Eine solche Überlieferung fehlt für den Raum Berlin dagegen fast gänzlich, was im Falle der Untersuchung von Thomas Irmer zum Kontakt zwischen französischen Zivilarbeitenden und Kriegsgefangenen ein stichprobenartiges Vorgehen nötig macht. Es mag auch dieser disparaten Überlieferung geschuldet sein, dass sich die versammelten Beiträge vornehmlich mit den Gruppen der französischen und polnischen Staatsangehörigen befassen, wohingegen andere Nationalitäten und auch die große Gruppe der sowjetischen Kriegsgefangenen kaum thematisiert werden – obwohl sich Fälle „verbotenen Umgangs“ auch hier, beispielsweise durch überlieferte Firmenakten, durchaus nachweisen lassen.

Insgesamt lohnt sich die Lektüre des vorliegenden Buches mindestens für all jene, die sich mit Zwangsarbeit im Nationalsozialismus sowie Mechanismen rassistischer und geschlechtlich kodierter In- und Exklusion im NS-Regime beschäftigen, leistet der Band doch einen wichtigen Beitrag zur Gesellschaftsgeschichte des Nationalsozialismus. Darüber hinaus bildet er den Auftakt zur neuen Reihe „Edition NS-Zwangsarbeit“ des Berliner Dokumentationszentrums NS-Zwangsarbeit. Mit diesem vielversprechenden Start kann man auf viele erhellende Beiträge zum in Teilbereichen immer noch erhebliche Forschungslücken aufweisenden Untersuchungsgegenstand der Zwangsarbeit im Zweiten Weltkrieg hoffen.

Anmerkungen:
1 Grundlegend dazu immer noch: Ulrich Herbert, Fremdarbeiter. Politik und Praxis des „Ausländer-Einsatzes“ in der Kriegswirtschaft des Dritten Reichs, Berlin 1985.
2 Vgl. Silke Schneider, Verbotener Umgang. Ausländer und Deutsche im Nationalsozialismus. Diskurse um Sexualität, Moral, Wissen und Strafe, Baden-Baden 2010.
3 Vgl. Insa Eschebach, „Verkehr mit Fremdvölkischen“. Die Gruppe der wegen „verbotenen Umgangs“ inhaftierten Frauen, in: dies. (Hrsg.), Das Frauen-Konzentrationslager Ravensbrück. Neue Beiträge zur Geschichte und Nachgeschichte, Berlin 2014, S. 154–173.

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